Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Es ist 2 Uhr morgens, ein kritisches System bricht ohne Vorwarnung zusammen. Der völlig übermüdete diensthabende Techniker hetzt los, stellt den Service wieder her und schützt Ihre Kunden vor einem massiven Ausfall, der Ihre nächste Service Level Objective (SLO)-Überprüfung gefährden könnte. Am nächsten Morgen findet wie so oft eine hitzige Diskussion über die faire Bezahlung von Rufbereitschaften statt: Was ist eigentlich eine "angemessene" Vergütung für schlaflose Nächte, unberechenbare Benachrichtigungen und eine umgehende Incident-Response ?
Was zählt als Rufbereitschaft? Rufbereitschaft ist eine besondere Arbeitszeitregelung im Arbeitsrecht. Sie tritt in Kraft, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet ist, mindestens telefonisch erreichbar zu sein, damit er im Notfall seine Arbeit aufnehmen kann. Rufbereitschaft wird in der Regel als Zeit gezählt, die speziell für Arbeitszwecke vorgesehen ist.
Praktisch heißt das: Während der Rufbereitschaft dürfen Mitarbeiter in der Regel keiner anderen Arbeit nachgehen. Es gibt jedoch Ausnahmen. Ist der Mitarbeiter über ein Dienstgerät erreichbar, kann er diese Zeit auch im Home-Office verbringen.
Was ist der Unterschied zwischen Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst? Beide Modelle unterscheiden sich sowohl in der zeitlichen als auch in der örtlichen Komponente:
Rufbereitschaft - Der Mitarbeiter ist per Telefon, Pager oder On-Call-App erreichbar und kann sich von überall einloggen, sobald eine Alarmierung eintrifft.
Bereitschaftsdienst - Der Mitarbeiter muss vor Ort anwesend sein und sofort handeln können. Das deutsche Arbeitsrecht stuft diesen Bereitschaftsdienst vollständig als Arbeitszeit ein und regelt die Vergütung entsprechend
Im IT-Betrieb setzt man meist auf Remote-Dienstbereitschaft, weil sich die meisten Incidents (Code-Rollbacks, Config-Tweaks) bequem über VPN lösen lassen. Für latenzkritische Umgebungen bleibt der Bereitschaftsdienst jedoch unverzichtbar, etwa bei Trading-Plattformen oder industriellen Steueranlagen, wo Techniker die Hardware überwachen und innerhalb von Sekunden eingreifen müssen, um strenge Service-Level-Agreements einzuhalten.
Zählt Rufbereitschaft als Arbeitszeit? Ob Rufbereitschaft als Arbeitszeit zählt, ist nicht so eindeutig festgelegt, wie man denken könnte. Nach den meisten arbeitsrechtlichen Regelwerken, darunter auch die Vorgaben zur Arbeitssicherheit und das US-amerikanische FLSA Fact Sheet #22 , gilt passive Rufbereitschaft als Ruhezeit, solange keine Alarmierung eingeht.
Sobald der Mitarbeiter jedoch eine Alarmierung erhält und mit der Problemlösung beginnt, wird diese Zeit zur aktiven Arbeitszeit.
In Grenzfällen entscheiden Gerichte, etwa das BAG in seinem Urteil vom Oktober 2023 (Az. 6 AZR 210/22) , darüber, welche Zeiträume als Arbeitszeit gelten. Deshalb unterscheiden sich die Definitionen oft je nach Rechtsraum und Unternehmensrichtlinie.
Auch bei der Bezahlung gibt es keine einheitliche Regel. Viele Arbeitgeber behandeln Rufbereitschaft als vergütete Arbeitszeit und zahlen entsprechend. Andere stufen passive Erreichbarkeit hingegen als unbezahlten Bereitschaftsdienst ein. Wenn Ihr Unternehmen dieses Modell anwendet, gilt: Erreichbarkeit ohne aktiven Einsatz wird nicht vergütet.
Fazit: Rufbereitschaft gilt nicht automatisch als Arbeitszeit, entscheidend ist die Vergütungspolitik des Arbeitgebers. Große Technologieunternehmen wie Airbnb, Apple oder Netflix zahlen nicht für passive Rufbereitschaft, während viele europäische IT-Unternehmen es anders handhaben.
Zeiten der Rufbereitschaft Rufbereitschaft wird in der Regel auf bestimmte Nächte oder Wochenenden beschränkt, die vorab vereinbart und im Arbeitsvertrag festgehalten sind. Da zu diesen Zeiten weniger Personal vor Ort ist, ist eine verlässliche Abdeckung während der Nacht und am Wochenende wichtig.
In Deutschland empfiehlt der IT-Branchenverband Bitkom, Rufbereitschaft auf maximal 56 Tage pro Kalenderjahr zu begrenzen und pro Schicht mindestens 8 Stunden ununterbrochene Ruhezeit zu garantieren (Bitkom-Leitfaden “Rufbereitschaft im IT-Betrieb ”). Da Rufbereitschaft grundsätzlich als arbeitsfreie Zeit gilt, greift die gesetzlich vorgeschriebene Ruhepause von 11 Stunden nach §5 (1) des Arbeitszeitgesetzes erst dann, wenn der Techniker tatsächlich an einem Incident arbeitet.
Wie wird Rufbereitschaft in IT-Unternehmen vergütet? In den meisten Unternehmen gilt Rufbereitschaft als bezahlte Arbeitszeit, aber wie genau abgerechnet wird, variiert stark. Die Vergütung ist im Arbeitsvertrag oder in internen Vergütungsrichtlinien geregelt.
Einige große Technologieunternehmen, darunter Airbnb und Apple, zahlen angeblich nicht für passive Rufbereitschaft und verweisen darauf, dass ihre Techniker ohnehin am oberen Ende der Gehaltsskala liegen. Viele europäische Scale-ups hingegen zahlen entweder einen Zuschlag oder bieten Freizeitausgleich an.
In Deutschland gibt es keinen gesetzlich geregelten Fixbetrag – das Bundesarbeitsministerium stellt klar: Die Höhe der Vergütung liegt im Ermessen des Arbeitgebers.
In der Praxis dominieren zwei Modelle:
Zuschlag auf den Stundenlohn Ein prozentualer Aufschlag auf den regulären Stundenlohn für jede geplante Rufbereitschaftsstunde.
Freizeitausgleich Acht Stunden Rufbereitschaft ergeben vier Stunden bezahlten Urlaub.
Wichtig : Nur die Minuten, in denen tatsächlich gearbeitet wird, gelten rechtlich klar als Arbeitszeit. Die reine Erreichbarkeit bleibt unbezahlt, es sei denn, das Unternehmen hat es anders geregelt.
Wie werden Bereitschaftsdienste in IT-Unternehmen vergütet? Die Bezahlung variiert weiterhin je nach Unternehmensgröße, Branche und Risikoprofil. Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) legt in § 8 Abs. 3 folgende Zuschläge fest:
Bereitschaftsdienste ab 12 Stunden Wochentage (Mo – Fr): Vergütung mit dem 2-fachen des Stundenlohns für den gesamten Tag.
Wochenenden und Feiertage: Vergütung mit dem 4-fachen des Stundenlohns für den gesamten Tag.
Kürzere Bereitschaftsfenster (unter 12 Stunden) Hier fallen zusätzlich 12,5 % des Stundenlohns pro Stunde Rufbereitschaft an.
In großen Konzernen oder erfolgreichen Start-ups können Arbeitnehmer mit etwa 1.000 € pro Woche für Rufbereitschaft rechnen. Bei Zalando liegt die Vergütung bei rund 1.050 €, bei dem Start-up HelloFresh bei 1.000 €, und bei Amazon Deutschland etwa bei 800 €.
Auch mehrere Unternehmen im Finanzsektor zahlen vergleichbare Sätze, die genauen Beträge variieren jedoch. Laut dem Blog Pragmatic Engineer gelten folgende Werte:
SumUp (Deutschland): 1.050 € pro Woche
N26 (Deutschland): 880 € pro Woche
Klarna (Europa): 500 € pro Woche
Mastercard (UK): 470 £ pro Woche
PayPal (Deutschland): 350 $ pro Woche
Wise (UK): 300 £ pro Woche
Aktuelle Beiträge aus Engineer-Foren und Communities liefern weitere Vergleichswerte:
Google - SRE-Rotation Tier 1 (fünf Minuten Reaktionszeit): Vergütung für 40 Minuten jeder On-Call-Stunde außerhalb der Bürozeiten (66 % des Basisstundenlohns). Tier 2 (30 Minuten Reaktionszeit): 20 Minuten pro Stunde (33 %).
AWS - (EU-Tier-0-Services): 25 % des Basisgehalts pro On-Call-Stunde außerhalb der regulären Arbeitszeit, plus einen halben Tag bezahlten Urlaub für jede nächtliche oder samstägliche Alarmierung.
Mehr als Bezahlung: Mitarbeitergesundheit schützen Geld ist nicht alles. Rufbereitschaft stört den Schlafrhythmus und beeinträchtigt das Privatleben, deshalb ist der Schutz der Mitarbeitergesundheit entscheidend. Diese fünf Punkte sind für Zufriedenheit und Wohlbefinden von IT-Teams wichtig:
Erwartungen klar definieren: Reaktionszeiten und Eskalationspfade müssen klar definiert sein.Fair rotieren: Schichten gerecht verteilen, mit Primär- und Sekundär-Rollen. Ein automatisierter Bereitschaftsplan sorgt für Transparenz.Workload im Blick behalten: Zeiten je Techniker tracken, nächtliche Bereitschaftsdienste begrenzen. Mit den ilert-Berichten können zum Beispiel Muster erkannt werden.Tools richtig nutzen: Deduplizierung von Alarmierungen und smarte Eskalationen reduzieren dank ilert die Alarmflut und verkürzen die Time-to-Sleep.Training & Support anbieten: Vierteljährliche Notfallübungen oder Übungstage halten das Team einsatzbereit und sicher im Umgang mit kritischen Störungen.Zusammenfassung Rufbereitschaft im IT-Bereich bedeutet, außerhalb der regulären Arbeitszeiten für eventuelle Notfälle erreichbar zu sein, meist remote. Sie unterscheidet sich vom Bereitschaftsdienst, der die Anwesenheit vor Ort erfordert und immer als Arbeitszeit gilt. Im Gesetz gibt es keine Regelung, dass Rufbereitschaft automatisch vergütet wird, nur die aktive Reaktion auf Incidents zählt eindeutig als Arbeitszeit.
Die Bezahlung für Rufbereitschaft variiert: Manche Unternehmen zahlen einen Zuschlag auf den Stundenlohn oder bieten Freizeitausgleich an, andere – etwa Apple oder Airbnb – vergüten passive Rufbereitschaft gar nicht. Bitkom empfiehlt in Deutschland maximal 56 Einsatztage pro Jahr mit mindestens 8 Stunden Ruhezeit pro Schicht.
Wöchentliche Pauschalen liegen bei Firmen wie Zalando, HelloFresh und SumUp zwischen 800 € und 1.050 €. Best Practices zum Schutz der Mitarbeiter umfassen eine faire Regelung für Rotationen, klare Eskalationspfade, Tools zur Verringerung von Alarmflut und regelmäßige Trainings.